Das RAW-Gelände steht für eine der Flächen, die noch den typischen, urbanen Ur-Berliner Kult präsentieren. Daher ist der Erhalt und Schutz der die Szene prägenden Akteure von sehr großem Wert für das lokale Kulturleben. Doch wie geht es weiter, wenn die neuen Eigentümer:innen ihre Bebauungspläne umsetzen? Unsere Redakteurin Sophie hat da mal nachgeforscht und mit dem Geschäftsführer des Cassiopeia Berlin, Florian Falkenhagen, gesprochen.
Für mich als kulturbegeisterte Studentin in Berlin ist das RAW-Gelände ein häufiger Anlaufpunkt für riesige Flohmärkte, Ausstellungen aller Art und ein ausgiebiges Nachtleben. Genau dafür steht es auch: Mitten im Friedrichshainer Kiez steht es für die urbane Kultur Berlin. Wir von ALEX Berlin aus dem Rudolfkiez und das RAW-Gelände verbindet hierbei eine Nachbarschaft über die Gleise. Denn es befindet sich in der Ecke Warschauer Straße und Revaler Straße. nahe der Brücke der Warschauer Straße, direkt an der Grenze zu den S-Bahn-Gleisen.
Seit der Stilllegung des dort befindlichen namensgebenden „Reichsbahnausbesserungswerks“ wird das Gelände seit Ende der 90er überwiegend soziokulturell genutzt. Es befinden sich zahlreiche Clubs, Bars, Event- und Konzerthäuser, aber auch Skate- und Kletterhallen sowie Ateliers und Künstler:innenhäuser dort.
Da wo heute in den rauen Berliner Nächten derbe Bässe durch die Gemäuer hallen, Touris über holprige Wege stolpern und sich Nachteulen zusammen in die Teledisko quetschen, wurde 1867 wurde auf der Fläche in der Ecke der Warschauer Straße und Revaler Straße der Betrieb der „Königlich-Preußische Eisenbahnwerkstatt Berlin II“ aufgenommen.
Im selben Jahr eröffnete auch der Ostbahnhof. Seit seiner ersten industriellen Nutzung ist das Areal von großer Bedeutung für die Stadt Berlin. Die Eisenbahnwerkstatt, 1918 umbenannt zum Reichsausbesserungswerk, wurde zu einem wichtigen Akteur des Wirtschaftsaufschwungs der Stadt Berlin. Nach dem zweiten Weltkrieg wurden die fast 80% der zerstörten Fläche wieder aufgebaut und das Werk bis Mitte der 90er weiterhin in seiner Funktion genutzt. Aufgrund der nicht rentablen Kapazitäten für Wartungen und Reparaturen wurde das Werk bis 1995 stillgelegt.
Um die Jahrtausendwende fanden erste gastronomische und kulturelle Angebote ihren Weg auf das RAW-Gelände. Ursprünglich stand es nach der Stilllegung unter der Verwaltung der DB-Tochterfirma „Vivico Real Estate GmbH“. Nach einigen Eigentümerwechseln gehört es aktuell vier Eigentümern: der Kurth Immobilien GmbH, der Sewan Verwaltungs GmbH von Peter Mast und Frank Trenkle, der International Campus AG aus München sowie der Firmältea Talgo. Aktuell vermieten diese die einzelnen Gebäude des RAW-Geländes an die Betreiber:innen, da der vorher agierende Generalmieter RAW Tempel e. V. 2015 Insolvenz angemeldet hatte.
Seit 2015 planen die Eigentürmer:innen verschiedene Bebauungsmaßnahmen, die bereits im geringen Maß umgesetzt wurden. So eröffnete die Immobiliengruppe Kurth, der über fünf der sieben Hektar des RAW-Geländes gehören, 2019 das House of Music in der ehemaligen Radsatzdreherei. Darin sind verschiedene kreative und musikwirtschaftliche Akteure vertreten, wie z.B. noisy rooms, die Musikschule Jam School, das British and Irish Modern Music Institute oder Musik Pool Berlin. Kurth versteht den Bau dieses Gebäudes als essentiell für die Förderung und Ergänzung der Musikszene auf dem RAW-Gelände. Auch von den Seiten der Nutzer:innen wurde das House of Music bisher positiv aufgenommen. Vor Beginn der Umbauten stand die Halle leer.
Nach dem House of Music plant Kurth noch weitreichendere Umgestaltungen seines Teils des RAW-Geländes. Seit mehreren Jahren läuft ein städtebauliches Verfahren. 2019 gab es einen ersten Aufstellungsbeschluss, bei dem ein kooperativer Städtebau angedacht wurde. Dabei wurden erste Deals ausgehandelt: Zum Beispiel soll das „soziokulturelle L“, welches die alten Häuser an der Revaler Straße sowie die Umgebung des Kegel-Sommergartens, unberührt bleiben – dafür bekommt Kurth grünes Licht von Seiten der Nutzer:innen die Erlaubnis für den Bau eines Hochhauses bis zur Bebauungshöhe der Revaler Straße. Für die Fläche einiger Gebäude sieht Kurth andere Pläne als die bisherige Nutzung vor. Das betrifft u.A. das Astra und das Urban Spree – diese müssen weichen, bekommen aber andere Nutzungsräume auf dem Gelände.
Aktuell befinden sich die Umbau-Pläne jedoch noch in der Prüfphase. Deshalb war die Immobiliengruppe Kurth leider für kein Interview bereit. Es wird außerdem händeringend nach einem Generalmieter für die Gebäude gesucht, der die Soziokulturelle komplett mietet und an die einzelnen Akteure untervermietet. Wenn das Vorhaben Kurths und der städtebauliche Kompromiss vertraglich sicher werden, dann bekommen die Nutzer:innen 30 Jahre Mietrecht, so besagt es der Deal.
Das cassiopeia gilt als der älteste Club auf dem RAW-Gelände. In einem Interview erzählt Florian Falkenhagen, der Geschäftsführer des cassiopeias sowie des zugehörigen Café Kults und der Skatehalle, wie sich diese Phase des Wartens auf Entscheidung anfühlt. Das cassiopeia befindet sich seit knapp 20 Jahren auf dem RAW-Gelände. Das Büro von Florian befindet sich auch im neuen House of Music.
Wie schätzt du die Bedeutung der Umgestaltungsmaßnahmen konkret für das cassiopeia ein?
„Dass wir eine Menge Glasfassaden um uns herum haben. Das ist erst mal das, was man augenscheinlich sehen wird. Wir werden sicherlich auch einen anderen Gästedruck kriegen. Jetzt sind wir ja doch sehr urban, sehr regional, sehr kiezig. Das schreckt auch einige ab, weil es vielleicht ein bisschen zu urban ist. Das würde sich natürlich mit einem Umbau des Geländes definitiv verändern. Wir sehen es ja auch auf der anderen Straßenseite mit dem Amazon-Tower. Das wird man dann schon merken, wenn der komplett bezogen ist. So wird’s dann natürlich mit dem Gelände auch. Der Eigentümer hat so ein bisschen versprochen, dass er bei der Nutzung genau hinschaut. Er hat ja das House of Music z.B. schon gebaut, da sitze ich auch gerade im Büro. Das ist eine sehr angenehme, neue Nutzung. Es gibt viele Überschneidungspunkte. Man hat jetzt nicht High-End-E-commerce Firmen, sondern eher yamaha und noisy. Mit denen kann man was anfangen. So soll das eigentlich auch weitergehen – bis auf die große Fläche zur Modersohnbrücke hin. Das soll der „Berlin Forest“ werden und da haben wir dann Büronutzung. Aber das bleibt spannend.
Mit welchen Gefühlen blickst du den Veränderungen entgegen?
Ich gucke mit zwei Augen hin. Auf der einen Seite freue ich mich, dass das Gelände mehr belebt wird. Viele Flächen sind brach und so schön wie sie auch sind, niemand nutzt sie, da sie zu teuer sind zu nutzen. Auf der anderen Seite ist natürlich der alte Charme, dem man als Berliner:in natürlich hinterherschaut und den man vergeblich noch sucht. Aber die Frage ist, wie wichtig einem Nostalgie ist und wie wichtig dann eben doch das weitere, soziokulturelle Überleben ist. Und dass man da vielleicht nicht doch einen Kompromiss eingeht und schaut, dass man die Veränderung zumindest mitverändern kann.
Werdet ihr denn auch ausreichend in die Planung integriert?
Also man gibt uns das Gefühl, dass man mitreden kann. Ob wir wirklich mitreden können, ist eine andere Sache, wie vieles durch Behörden bedingt. Man wurde bisher schon im Prozess mit eingebunden, aber eher als zuhörend, begleitend, nicht als wirklich aktiv mitarbeitend. Allerdings hat man die Möglichkeit genau die Flächen, die zur Kuration freigegeben sind, mitzukuratieren. Und ich glaube, das ist nachher viel wichtiger, als zu entscheiden, welche Farbe das Hochhaus kriegt. Also man wünschte man wäre mehr eingebunden, ich glaube wir sind aber in dem was möglich ist.
Siehst du auch Chancen?
Es macht natürlich Chancen für uns als Club auf. Man kann über neue Konzepte nachdenken. Wir haben die Möglichkeit eine Subkultur zu ermöglichen, die niederschwellig und kiezig ist. Auf der anderen Seite steht aber auch ein gewisser Kapitaldruck, um die Querfinanzierung der Skatehalle zu schaffen. Das wird mit neuem und mehr Publikum sicherlich einfacher. Auch für den Biergarten wird das cool. Allerdings muss man schauen, dass man in seiner Philosophie bleibt. Ich freue mich auf den Tag, an dem ich eine Piratenflagge hissen kann. Für den Club werden wir schauen, wie wir unsere Bühne und unseren Punkrock zwischen Glasfassaden aufrecht erhalten können. Aber eigentlich bin ich positiv gestimmt. Wir haben es bis hierhin geschafft. Dann sollte das auch so weiter gehen. Die Herausforderung wird sein, die Veränderung zu akzeptieren, damit das erhalten bleibt, was man nutzt. Tote Wände sind zwar schön zu sehen, aber unterhalten uns leider nie.
Wie schätzt du die Kostenveränderungen für Eintrittspreise, Miete, etc. ein?
Das hängt davon ab, ob ein Generalmieter:in kommt. (…) Dann gehe ich davon aus, dass es für uns günstiger wird, da wir jetzt schon eine relativ marktübliche Miete zahlen. Für die einzelnen Atelierräume und Künstler:innenräume in den Häusern vorne könnte es unter Umständen noch teurer werden. Das wird eine Herausforderung, die man nehmen muss und wo man schauen kann, wie wir uns untereinander querfinanzieren können. Wenn wir die Generalmieter:in nicht finden, wird es wahrscheinlich über die Kurth Immobiliengruppe selber laufen. Dann wird es für alle vermutlich etwas teurer. Aber das ist auch nur reine Mutmaßung.
Also heißt es für euch erst mal abzuwarten, was passiert?
Tatsächlich ja. Wir können gerade wenig machen. Richtung Politik und Eigentümerin fragen wir immer, wo wir unterstützen können. Wir entwickeln gerne Konzepte oder versuchen Fördergelder für Generalmieterideen zu finden. Im Endeffekt hängt es nun daran, dass sich die drei Parteien - Politik, Eigentümer und Generalmieter:in - treffen und einen Deal finden. Dann geht es für uns weiter.
Es bleiben also noch viele Fragen offen. Es bleibt zu wünschen, dass möglichst viel der urbanen Kultur und des kiezigen Flairs erhalten bleiben kann und dass sich die Umgestaltung auch positiv für die Nutzer:innen auswirken wird. Sobald es Veränderungen oder etwas Neues gibt, werden wir darüber berichten!
Mehr zum Wandel der Kultur- und Cubszene in Berlin findet ihr in unserer Reihe R.I.P. - Berliner Clubsterben.
Text, Interview & Bilder: Sophie Ehmke
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