Silke und ihre Tochter Nina haben viel gemeinsam: Mit Anfang 20 zieht es die beiden aus Brandenburg nach Berlin. Sie möchten feiern, in Kinos, Theater oder Restaurants gehen – einfach unterwegs sein. Und obwohl das in ihrer Heimat nicht möglich ist, gehen sie nur wenige Jahre später zurück aufs Land. ALEX Berlin Redakteurin Ronja Baudisch hat die beiden getroffen und gefragt: Leben im Nirgendwo – macht das Spaß?
Rasseln schnarren, Füße trampeln, der Linoleumboden vibriert. Die Füchse sind nur knapp in Führung. Doch während die übrigen Fans die schnellen Ballwechsel gebannt verfolgen, schaut Silke nervös auf ihre Armbanduhr: Kurz nach Acht. Wenn das Spiel weiter überzogen wird, verpasst sie den letzten Zug nach Hause. Dann endlich: Abpfiff. Statt sich über den Sieg zu freuen, wirft Silke ihrer Familie ein schnelles "Tschüss" zu und stürzt Richtung Ausgang.
Die 57-Jährige ist häufig in Berlin und nutzt das Kultur- und Freizeitangebot dort. Denn: In ihrem Wohnort Rangsdorf gibt es das nicht.
In Berlin ist so viel, dass hier draußen nichts mehr übrigbleibt. Konzerte, Theater, Kino, Gastronomie, Cafés und Schwimmhallen – das fehlt.
– Silke, 57, aus Rangsdorf in Brandenburg
In Berlin ist Silke schnell – der Rückweg ist das Problem: "Am Wochenende fährt die Bahn bis kurz nach Mitternacht, aber da geht es in Berlin ja grade erst los", erzählt sie enttäuscht. Ihre Hoffnung: Dass die S-Bahn wieder bis in ihren Wohnort fährt. Das fordert auch die Bürgerinitiative für eine S-Bahn nach Rangsdorf. Doch trotz Petitionen und politischen Versprechen fährt die S-Bahn bis heute nicht.
Anders ist es in Ninas Wohnort Schönefeld: Hier hält die S-Bahn. Genau wie ihre Mutter hat Nina für einige Jahre in Berlin gelebt und ist dann wieder nach Brandenburg gezogen. Und auch in Schönefeld ist nicht viel los. Beinahe ausgestorbene Orte und zwei aktive, kulturinteressierte Frauen – wie passt das zusammen?
Zwischen 1992 und 2015 verließen 527.000 Brandenburger*innen ihre Heimat. Silke erinnert sich noch gut: "Hier gab es nichts mehr. Alle wollten in den Westen, alle wollten nach Berlin." 1992 zieht Silke von ihrem Heimatort Schöneiche zu ihrem Freund nach Berlin. Als das Paar sechs Jahre später zurückkehrt, hat sich Brandenburg kaum verändert. Doch die gemeinsamen Kinder sollen auf dem Land groß werden.
Bis 2019 ziehen so viele in das Berliner Umland, dass die Bevölkerungszahl zum ersten Mal die Million knackt. Und auch der Rest Brandenburgs verzeichnet einen Wanderungsgewinn: 2023 ziehen mehr als 30.000 Personen aufs Land, die meisten von ihnen Rückkehrer:innen. Doch was bringt die Brandenburger:innen zurück in die Heimat?
Nina ist jung und viel unterwegs. Das trubelige Leben in Berlin vermisst sie trotzdem nicht. Auf dem Land schätzt sie vor allem die Entschleunigung: "Hier ist viel Natur und Ruhe – wie ein Nest. Berlin hat viele Vorteile, aber die kann man immer haben, wenn man möchte." In Berlin zu wohnen können sowohl Silke als auch Nina sich nicht mehr vorstellen: "In Berlin hat man immer Stress – ob positiv oder negativ." Den Umzug bereut Nina keinen Tag.
"Zuerst habe ich es dem Hund angesehen: Er ist viel entspannter. Und mir geht’s genauso."
– Nina, 29, aus Schönefeld in Brandenburg
Auch Silke vermisst den Lärm der Großstadt nicht: "Ich freue mich jeden Tag, wenn ich aufwache und es ist ruhig."
Der Großteil der jungen Menschen zieht es heute vor, in kleineren Städten oder auf dem Land zu wohnen. Trotzdem prognostizieren Expert:innen langfristig einen Rückgang der Brandenburger Bevölkerung. Grund dafür sind die hohe Sterbe- und geringe Geburtenrate. Um weiterhin Rückkehrer:innen zu gewinnen, sollen Netzwerke wie Ankommen in Brandenburg bei der Suche nach einem Beruf, Freizeiteinrichtungen, einer Schule oder einem Kitaplatz helfen.
Mehr zum Thema Wohnen in Berlin gibts im ALEX Kosmos.
Redaktion & Text: Ronja Baudisch
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