Die Berliner Technoszene gilt weltweit als Safer Space für die queere Community. Was bedeutet das für Partys und Clubgänger:innen? Unsere Autorin Beatrice Scholz hat erste Erfahrungen beim Feiern gesammelt und mit Menschen aus der Szene darüber gesprochen, wie queere Berliner:innen in der Techno-Szene ihren Safe Space finden.
Ich wohne seit knapp einem halben Jahr in Berlin und möchte nicht lügen: Einer meiner Gründe, nach Berlin zu ziehen, war die queere Technoszene in dieser Stadt. Viele wissen ja vielleicht, dass diese Szene oft damit wirbt, ein Safer Space für Menschen zu schaffen. Da habe ich mir die Frage gestellt: Ist das wirklich so? Und wenn ja, wie gelingt es der Szene, solche Räume zu kreieren? Gibt es Verbesserungsmöglichkeiten? Um das herauszufinden, habe ich mit drei queeren Menschen, die regelmäßig in der Technoszene Berlins unterwegs sind und dem Berliner FLINTA*-Kollektiv "Layers" gesprochen.
Ein Safer Space ist ein Ort, an dem Menschen – unabhängig von ihrer sexuellen Orientierung, Geschlechtsidentität, ethnischen Herkunft oder anderen Merkmalen – frei von Diskriminierung, Gewalt und Vorurteilen sein können. Diese Räume ermöglichen es, sich selbst auszudrücken, zu experimentieren und sich mit Gleichgesinnten auszutauschen, ohne Angst vor negativen Konsequenzen. Besonders in der queeren Community sind solche Räume von entscheidender Bedeutung, um Akzeptanz und Gemeinschaft zu erleben.
Das FLINTA*-Kollektiv "Layers" verfolgt genau diese Vision. Als kreatives Netzwerk und Plattform wurde "Layers" 2022 gegründet, um FLINTA+-Personen in der Berliner Musik- und Kunstszene zu stärken. "Unsere Mission ist es, Diversität zu fördern und FLINTA-Künstler*innen eine Bühne zu bieten, die ihre Geschichten authentisch erzählen", erklären sie. "Dabei schaffen wir Räume, die nicht nur geduldet, sondern explizit für queere Menschen gemacht sind."
Charlies Reise in die Berliner Techno-Szene begann schon in jungen Jahren. Ihre Eltern waren Fans von House-Musik, und als sie 17 war, besuchte sie ihr erstes Techno-Festival in Stuttgart. Für Charlie ist Berlin der Inbegriff einer lebendigen und kreativen Techno-Szene. Trotzdem hat sie in den letzten Jahren auch Veränderungen bemerkt. "Die Szene ist gewachsen, aber damit kamen auch Herausforderungen", erzählt sie. Insbesondere die zunehmende Kommerzialisierung macht es für kleinere, queere Veranstaltungen schwerer, sich zu behaupten. Dennoch betont sie: "Ich habe hier in Berlin wieder meine Liebe zur Musik und zur Gemeinschaft entdeckt."
Yassi beschreibt ihre erste Begegnung mit der Berliner Techno-Szene als "befreiend". Sie fühlte sich sofort willkommen. "Die Szene hat mich von Anfang an durch ihre Offenheit und Diversität angezogen", sagt sie. Techno-Clubs waren für sie ein Raum, in dem sie erstmals mit gender non-conforming Outfits experimentieren konnte – eine Erfahrung, die ihr half, neue Facetten ihrer Identität zu entdecken. Besonders bei FLINTA*-Veranstaltungen fühlt sie sich sicher: "Das macht den Unterschied aus – der bewusste Fokus auf Inklusion und ein Team, das die gleichen Werte teilt."
Paul identifiziert sich als non-binary und queer und sieht die Berliner Szene differenziert. They betont, wie wichtig DIY-Partys für das Gefühl von Sicherheit und Zugehörigkeit sind. "Ich habe eine Veranstaltung namens 'Curandera' besucht, bei der ich mich willkommen gefühlt habe. Aber die hohen Kosten in Berlin machen es schwer, dass solche Partys die passenden Locations finden."
Eine ähnliche Erfahrung teilen die Organisatorinnen von "Layers". Ihre Partys setzen auf intime Locations, helleres Licht für sozialen Austausch und ein bewusstes Community-Management. Ihr Ansatz basiert auf Awareness und Respekt. Awareness-Teams, klare Codes of Conduct und Feedback nach den Events gehören für sie genauso dazu wie FLINTA*-only Lineups.
"Das Ziel ist es, eine Umgebung zu schaffen, in der queere Menschen sich authentisch ausdrücken können", erklärt das Kollektiv. Durch die Kombination von künstlerischer Freiheit, Diversität und Community-Building entstehen Orte, die Sicherheit und Selbstverwirklichung fördern.
Ein zentraler Aspekt der Berliner Techno-Szene ist die Möglichkeit, sich auszudrücken, ohne bewertet zu werden. Für viele queere Menschen ist das eine befreiende Erfahrung. Charlie beschreibt es so: "Es interessiert niemanden, was du machst und wer du bist. Du kannst dich ausprobieren, tanzen und anziehen, wie du willst."
Paul ergänzt, dass die Szene – wenn sie funktioniert – Räume schafft, in denen Camp und extravagante Outfits gefeiert werden. "Camp" bezeichnet hier einen bewusst übertriebenen, extravaganten und oft ironischen Stil, der Kitsch und Unkonventionalität feiert, um Individualität und Andersartigkeit auszudrücken. "Es gibt diese gegenseitige Wertschätzung, ohne dass man sich speziell hervorgehoben fühlt."
"Layers" sieht darin eine besondere Stärke der queeren Community. Ihre Veranstaltungen bieten Raum für Performances, Ausstellungen und kreativen Austausch. "Es ist nicht nur eine Party, sondern ein Ort, an dem Identitäten sich künstlerisch, kreativ oder persönlich ausdrücken können.", so das Kollektiv.
Trotz der Bemühungen um Sicherheit und Inklusion sind Herausforderungen nicht zu übersehen. Charlie spricht von einem wachsenden Publikum, das nicht immer die Werte der Szene teilt: „Leute, die neu in die Szene kommen, verstehen manchmal den respektvollen Umgang nicht, der hier erwartet wird.“
Paul sieht in der Kommerzialisierung eine der größten Bedrohungen für die queere Techno-Szene. „Die zunehmende Mainstreamisierung drängt DIY-Partys an den Rand“, erklärt they. Das hat nicht nur Auswirkungen auf die Verfügbarkeit von sicheren Räumen, sondern auch auf die Authentizität der Szene. Paul wünscht sich mehr Offenheit für kleinere Künstler*innen und weniger Fokus auf Performance und Markenorientierung.
„Layers“ sieht auch strukturelle Barrieren wie Tokenism[1], Diskriminierung und die Dominanz männlicher Netzwerke. Langfristige finanzielle Stabilität und stärkere Förderungen kultureller Räume sind laut ihnen dringend nötig. Doch gerade diese benötigten Finanzierungen stehen durch die aktuellen Einsparungen des Berliner Senats im Kulturbereich in den Sternen.
Was alle betonen, ist die besondere Verbindung, die durch die Berliner Techno-Szene entsteht. Yassi beschreibt die Szene als "Magnet" für queere Menschen: "Sie schafft Räume, in denen wir uns treffen, austauschen und unterstützen können."
Für Paul ist diese Gemeinschaft ein wesentlicher Faktor, um mit Herausforderungen umzugehen: "Mit Freund:innengruppen unterwegs zu sein, hilft, Diskriminierung zu bewältigen und gibt dir die Macht, schwierige Situationen mit Humor zu nehmen.“
Die Gemeinschaft ist für „Layers" ist es eine Grundlage ihrer Arbeit für Gemeinschaft in der Szene zu sorgen und diese zu stärken. Durch Mentoring, FLINTA*-only Projekte und die Zusammenarbeit von etablierten und neuen Künstler.innen fördern sie nicht nur Kreativität, sondern auch Diversität und Dialog.
Ich persönlich kann sagen, dass ich vielen genannten Aspekten zustimme. Größtenteils hat mich die Berliner Technoszene nicht enttäuscht– die Vielfalt an talentierten Künstler:innen und die Möglichkeit, sich frei auszudrücken, sind beeindruckend. Dennoch wünsche ich mir, dass die Szene stärker zu den ursprünglichen Werten von Techno zurückfindet: Offenheit, Freiheit und eine Fokussierung auf Musik und Gemeinschaft, statt auf Kommerzialisierung oder reine Ästhetik. Ich träume von mehr kleinen, queeren FLINTA*-Partys mit exklusiven FLINTA*-Line-ups, weniger überfüllten Clubs und strengeren Codes of Conduct, damit diese besonderen Räume ihre Bedeutung als echte Safer Spaces behalten können.
Die queere Techno-Szene Berlins bleibt ein faszinierender und vielfältiger Space, der weiter wachsen und sich verbessern kann. Charlie und Yassi wünschen sich mehr FLINTA*-Partys, Paul setzt auf die Rückkehr von DIY-Events, und „Layers“ fordert stärkere Strukturen für Safer Spaces sowie verbindliche Codes of Conduct.
Wie jeder Safer Space ist auch die Berliner Techno-Szene ein Werk in Entwicklung – ein Raum, der geschützt, hinterfragt und weiter gestaltet werden muss, damit er wirklich allen queeren Menschen die Freiheit bietet, die sie verdienen.
[1] Unternehmungen oberflächlicher oder symbolischer Anstrengungen, um den Anschein von Vielfalt, Inklusion oder Gleichberechtigung zu erwecken, ohne tatsächlich substantielle Veränderungen vorzunehmen
Text & Interviews: Beatrice Scholz
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