Weihnachten steht vor der Tür. In ein paar Tagen ist Heiligabend. Die Geschäfte schließen, viele fahren zu ihren Familien und verbringen ruhige und besinnliche Feiertage zusammen. Man hat das Gefühl, dass der ganze Trubel für ein paar Sekunden still steht. Schon seit Wochen sind die Geschäfte voll mit Weihnachtsdeko, Lebkuchen und Schokoweihnachtsmännern. Überall sind Weihnachtsmärkte und jeder ist damit beschäftigt Geschenke zu kaufen. Aber was ist mit den Leuten, die Weihnachten nicht feiern oder anders feiern als gewohnt? Wie nehmen sie die Weihnachtszeit wahr? Und welche Gründe haben sie, Weihnachten anders zu verbringen?
Robert Hoffmann und Katarina Radic feiern Weihnachten auf eine andere Art und Weise. Im Interview haben sie uns erzählt, wie sie die Feiertage verbringen, welche Beweggründe sie haben und was dahintersteckt.
Robert Hofmann kommt ursprünglich aus Bonn und lebt seit vielen Jahren in Berlin. Er arbeitet als Journalist. Lange war er bei Vice, um da vor allem über Quatsch, sich selbst und Dinge, die ihn an der Gesellschaft stören, zu schreiben. Mittlerweile ist er Chefredakteur von Stread, dem ersten digitalen Straßenmagazin in Deutschland und versucht, dass durch Popkultur, Quatsch und soziale Themenschwerpunkte auch junge Menschen für das Thema Obdachlosigkeit sensibilisiert werden.
Katarina ist 30 Jahre alt, gelernte Fremdsprachenkorrespondentin und arbeitet derzeit in der IT-Branche. Ihre Eltern sind in den 70er Jahren aus Serbien nach Deutschland gekommen. Sie hat zwei ältere Schwestern (Altersunterschied 10 Jahre +). Sie sind alle drei in Berlin geboren und zweisprachig aufgewachsen. Religiös gesehen sind sie serbisch-orthodox und zelebrieren Dank ihrer Mutter viele wichtige Festtage (besonders kirchlich gesetzte).
Was bedeutet Weihnachten für dich?
Robert: Weihnachten sind zuerst einmal ein paar freie Tage und jede Menge Glühwein in der Vorweihnachtszeit. Früher habe ich mit meiner Familie gefeiert, deswegen ist die Zeit immer noch konnotiert damit, auch wenn ich das schon lange nicht mehr wirklich lebe. Aber den Gedanken finde ich immer noch schön: Einmal im Jahr in die Heimat zu reisen, der Kernfamilie in all ihrer toxischen Spießigkeit begegnen, aber auch daran erinnert zu werden, wo man herkommt – und wie weit man es geschafft hat, davon wegzukommen.
Katarina: Weihnachten heißt für mich: Zeit mit der Familie und viel gutes Essen!
Wieso feierst du Weihnachten nicht? / Wieso feierst du Weihnachten anders?
Robert: Das hat sich über die Jahre so ergeben. Erst wurde es meiner Mutter zunehmend kalt im deutschen Winter, weswegen sie immer mehr Zeit in Portugal verbracht hat. Bei ihr hatten mein Bruder und ich vorher immer gefeiert, das fällt jetzt weg. Dann wurde mein Vater zunehmend restriktiv damit, wer Weihnachten bei ihm verbringen durfte – für meinen Bruder und mich war dann gleichzeitig kein Platz mehr, obwohl er in einer Vierzimmerwohnung lebte. Mittlerweile ist er aber nach Bayern gezogen, weil er dort nach dem Tod seiner Frau jemand Neues kennengelernt hat. Und ganz ehrlich, in Bayern würde ich nicht feiern wollen, selbst wenn ich eingeladen würde. Portugal schon eher, eines Tages werde ich das sicher mal machen.
In den ersten Jahren war das dann noch okay, mehrere Jahre konnte ich bei meiner Exfreundin mitfeiern, da gab es köstlichstes Essen und tollen weihnachtlichen Familienzwist, mit dem ich nichts zu tun haben musste, außer mir das Spektakel anzuschauen. Nach der Trennung war dann jedes Jahr anders und das ist mittlerweile die Konstante in meinem Weihnachtsfest: Jedes Mal anders.
Katarina: Das christliche Weihnachten (24.-26.12.) feiern wir nicht, da wir orthodox sind. Unser „Weihnachten“ findet nach dem alten julianischen Kalender am 6. (Heiligabend) Bzw. 7.1. statt.
Hat sich die Art wie du die Weihnachtsfeiertage verbringst über die Jahre verändert?
Robert: Im ersten Jahr nach der Trennung war ich mit einer Freundin zu Gast bei einem befreundeten Paar. Es war toll. Das Jahr darauf lag ich krank im Bett, weil die Kinder meines Bruders mir irgendein Getier in Magen und Darm gezaubert hatten und letztes Jahr war ich bei einem befreundeten Paar zum Essen eingeladen. Wir haben gewichtelt und getrunken und es war ganz wunderbar.
Katarina: Die Art, die christlichen Weihnachtsfeiertage zu feiern, hat sich durch meine Partnerschaften ergeben, da diese größtenteils Christen sind/waren. Zu Hause bei uns haben wir das christliche Weihnachten jedoch nie gefeiert.
Wie wird der 24.12. dieses Jahr bei dir aussehen?
Robert: Ich fahre mit besagtem Paar und meiner Freundin in ein Haus in Sachsen-Anhalt. Wir werden wichteln und trinken und es wird ganz wunderbar. Außerdem gibt es dort eine Sauna.
Katarina: Der 24.12. wird dieses Jahr im Kreise der Familie meines Freundes stattfinden. Wir werden zusammen Ente, Gans, Rotkohl und Klöße essen, zusammensitzen und Spiele spielen.
Gibt es bestimmte persönliche Traditionen oder rituale, die du entwickelt hast, um die Feiertage auf deine eigene Weise zu zelebrieren?
Robert: Daran arbeite ich noch. Das Einzige, was derzeit immer wiederkehrt, ist die verschämte Suche in den Wochen vor dem Fest. Wer wird mich aufnehmen? Werde ich dieses Jahr allein feiern müssen? Und wenn ja, wie? Ich denke, irgendwann wird es so weit sein, komplett allein. Und ich vermute, dass das Ok wird.
Katarina: Ich habe keine Rituale und/oder Traditionen zum Jahresende, da auch Neujahr in Serbien erst am 14.1. eingeläutet wird. Üblicherweise wird jedoch das Jahresende hier in Deutschland am 31.12. „mit zelebriert“, indem wir uns möglichst alle versammeln und in das neue Jahr feiern.
Wie gehst du mit dem sozialen Druck um, der oft mit Weihnachten und den Erwartungen verbrunden ist?
Robert: Ich bin ehrlich: Mich stresst das. Dieses Jahr nicht so sehr, weil ich mich auf das Häuschen und die Tage mit den lieben Menschen freue, aber ich merke schon, dass ich mich von dem Druck nicht ganz befreien kann. Da ist immer noch das Gefühl, dass mir etwas fehlt, weil meine Familie nicht zusammen feiert. Am Ende bleibt mir aber nichts, als das zu ignorieren. Was soll ich denn machen?
Katarina: Ich lasse mich durch die Feiertage nicht unter Druck setzen, da wir zu Hause das christliche Weihnachten nie zelebriert haben. Am orthodoxen Weihnachten wird normalerweise nichts verschenkt. Es geht rein um die Zeit mit der Familie, die zu dem Zeitpunkt wichtig ist und das Unterbrechen einer langen Fastenzeit, die vor dem 7.1. üblicherweise stattfindet. Daher gehe ich auch mit den christlichen Feiertagen sehr entspannt um. Ich verteile kleine Geschenke und/oder Aufmerksamkeiten, verschenke jedoch lieber Zeit.
Wie waren Reaktionen in deinem Umfeld darauf, wie du Weihnachtsfeiertage verbringst?
Robert: Zum Glück kenne ich einige Leute mit zweifelhaften Elternhäusern, die das gut nachvollziehen können. Manche klingen fast ein bisschen neidisch, dass ich mir selbst aussuchen kann, wie ich feiere. Die wissen natürlich nicht, dass ich sehr wahrscheinlich einfach tauschen würde, wenn ich die Möglichkeit hätte.
Katarina: Menschen, die ich zum ersten Mal treffe und denen ich erzähle, dass wir kein christliches Weihnachten feiern, sind üblicherweise verblüfft und dann neugierig. Das Wissen über die Orthodoxen Feiertage ist nicht weit verbreitet, sodass ich immer mit Fragen gelöchert werde.
Inwiefern beeinflusst die Entscheidung, Weihnachten nicht zu feiern, deine allgemeine Lebensphilosophie?
Robert: Ich merke, dass ich dadurch, dass es nicht mehr diese institutionalisierte Rückkehr in die Heimat gibt, insgesamt freier bin. Der Gedanke an meine Familie stresst mich kaum, ich habe nicht das Gefühl, Erwartungen erfüllen zu müssen, oder irgendwem Rechenschaft schuldig zu sein. Vor allem sehe ich, dass es gar nicht so selbstverständlich ist, dass Menschen Familien haben. Und denke deshalb, dass es wohl eine Million Vorannahmen über die Gesellschaft und ihre Individuen gibt, die es sich zu hinterfragen lohnt.
Katarina: Die Feiertage nicht so zu zelebrieren, wie andere es tun, beeinflusst mich in keinster Weise. Von klein auf wurde uns unsere Kultur und Religion ans Herz gelegt, sodass es für mich sehr leicht ist, diesen Dingen zu folgen, auch wenn andere Religionen und/oder Kulturen es anders machen. Leben und leben lassen, ist hier das beste Sprichwort und trifft vollkommen auf meine Lebensphilosophie zu.
Gibt es etwas, was du anderen Leuten mitgeben möchtest, die die Weihnachtstage auch anders verbringen?
Robert: Fuck it. Alles ist erlaubt. Schau, dass es dir gut geht. Irgendwo wird immer jemand mit dir trinken wollen. Wir sind viel mehr, als man meint.
Katarina: Mitgeben möchte ich nur, dass es wichtig ist unsere kulturellen Hintergründe zu wahren, sich nicht für seinen Background zu schämen, sondern mit offenem Herzen durch die Welt zu gehen, neugierig zu sein und zu akzeptieren. Außerdem: Ob deutsch, serbisch, spanisch oder arabisch; Zeit ist das wertvollste der Welt und sollte nicht nur an Festtagen verschenkt werden!
Weihnachten erlebt jeder individuell und facettenreich. Die Geschichten von Robert und Katarina zeigen, dass es nicht nur eine "richtige" Art gibt, die Feiertage zu verbringen. Während Robert sich von traditionellen Familienfeiern gelöst hat und die Freiheit schätzt, Weihnachten jedes Jahr anders zu gestalten, betont Katarina die Wichtigkeit, kulturelle Hintergründe zu bewahren und offen für Vielfalt zu sein.
Wir wünschen euch tolle Weihnachtsfeiertage, egal wie ihr sie verbringt.
Robert Hofmann hat auch in der neusten "Wirthshaus Late Night" Folge zu sehen und spricht auch dort darüber, wie er Weihnachten verbringt.
Interview mit Robert Hofmann (@roberthofmann) und Katarina Radic
Text: Joelina Sorgenfrei
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