Ick sach ma', det Prime Time Theater im Wedding feiert 20 Jahre GWSW - da kannste ooch ma' janz ohne Brille lachen, wa!"
Das Prime Time Theater im Wedding zelebriert sein 20-jähriges Jubiläum und zwei Jahrzehnte "Gutes Wedding, Schlechtes Wedding" (GWSW). Diese, nach dem Theater weltweit am längsten laufende Theatersitcom, unter der kreativen Leitung von Intendant Oliver Tautorat, feiert ihr beeindruckendes Bestehen mit einer Jubiläumsdoppelfolge namens "In einem Wedding vor unserer Zeit". Der Titel knüpft nicht nur an die Namensgebung des animierten Dino-Films "In einem Land vor unserer Zeit" an, sondern nimmt die Zuschauer mit auf eine unterhaltsame Zeitreise durch 20 Jahre Weddinger Kulturerbe. Dieses Jubiläum markiert einen bemerkenswerten Meilenstein für das einzige Komödientheater in der Nordhälfte Berlins.
Die Ära von Prime Time begann mit der Gründung des Schauspiel-Duos Constanze Behrends und Oliver Tautorat in einem kleinen Zimmertheater mit einer gemütlichen Kapazität von 35 Gästen in der Freienwalder Straße im Wedding. Zu Beginn erledigte das Gründer-Duo alles im Alleingang – von der Bühnenperformance über Maske, Buch bis hin zum Ticketverkauf. Seit damals hat sich ein professionelles Ensemble etabliert, es gab drei Umzüge innerhalb des Weddings und über die vergangenen 20 Jahre sind mehr als 150 GWSW-Stücke entstanden, die von über 250 Berliner Kult- und Klischeefiguren bevölkert wurden. Allen voran Postbote Kalle, den der Intendant Oliver Tautorat selbst von Anfang bis heute verkörpert, und den man unschwer an den markanten Merkmalen Vokuhila, Schnauzer und dem gelben "P(r)ost"-Shirt erkennen kann.
Zu den Jubiläumsfolgen von GWSW kommen weitere Jubiläums-Highlights, wie ein Kalle-Keks (siehe Bild unten), der von dem türkischen lokalen Bäcker „Tatlicilar“ von Ertam Saydam gebacken und im Prime Time Theater verkauft wird. Außerdem wird eine Kalle-Skulptur aus 3D-Druck entstehen, der passende Scan von Kalle ist bereits erfolgt. Ein geeigneter Platz im Wedding für die Figur wird noch gesucht.
Aber was sagen denn Intendant Oliver Tautorat und Regisseur und Autor Philipp Hardy Lau zum großen Jubiläum?
ALEX: 20 Jahre Prime Time Theater. Was bedeutet euch das?
Oliver Tautorat: Ich bin mächtig stolz auf alles, was bisher gemacht worden ist. Wir haben es geschafft, in den 20 Jahren über 200 Stücke zu produzieren. Über 300 Figuren sind entwickelt worden, einfach ein wahnsinniger Durchsatz an Kunst und Humor. Es trägt sich seit 20 Jahren und ich bin mächtig stolz auf alle, die das so vorangetrieben haben.
Phillipp Hardy Lau: Es ist für uns alle hoch emotional 20 Jahre die Vergangenheit zu blicken, in unserer Geschichte hier im Theater mit „Gutes Wedding, Schlechtes Wedding“. Wir haben viel Material gesichtet, es sind insgesamt 135 Folgen, die wir jetzt schon gespielt haben und 50 Specials. Es ist für uns alle ein Trip Down Memory Line.
Was war euer jeweiliges Highlight in diesen 20 Jahren?
PHL: Ich bin seit fast 15 Jahre dabei. Meine erste Folge, die ich hier am Theater gesehen habe, war das fünfjährige Jubiläum „High Five“, das war noch in den alten Räumlichkeiten gegenüber. Mein persönliches Highlight in den 15 Jahren war mein Autoren-Debüt hier am Theater, das war die Folge 101.
OT: Wir haben uns einmal geküsst. Unser einziger Kuss. Ich dachte das wäre dein Highlight. Sehr enttäuschend Philipp (lacht). Meine persönlichen Highlights sind mit meinen Gästen. Zum Beispiel habe ich Gäste, die habe ich zehn Jahre nicht gesehen, die haben jetzt Kinder bekommen und kommen jetzt mit ihren Kindern. Das ist ein großes Highlight für mich. Und klar, es gibt auch einige Preise. Den B.Z. Kulturpreis haben wir gewonnen, ich habe die Bezirks-Verdienstmedaille bekommen sowie eine Ehrung der Weddinger Ritterschaft. Da war ich besonders stolz drauf. Ich bin zum Weddinger Ritter geschlagen worden.
Neben einer Palette an Highlights musste das Prime Time Theater auch so einige Hürden überwinden. Im Sommer 2019 stand die Insolvenz bevor und konnte gerade noch rechtzeitig vom heutigen Eigentümer des Theaters, dem gebürtigen Weddinger und Geschäftsmann Tomislav Bucec verhindert werden. Dies führte im gleichen Sommer zu umfangreichen Umbaumaßnahmen und einer Neustrukturierung, darunter die Integration eines Gastronomiebereichs, dem RAZ Café.
Natürlich sollte auch die kulturgefährdende Corona-Pandemie im Jahr 2020 das Kult-Theater herausfordern. Statt die Hände in den Schoß zu legen, sah das Theater darin die Chance, innovative Formate zu entwickeln. Dazu gehörten unter anderem eine James Bond-Parodie mit dem Titel „Keine Zeit für Piccolo“, die als Theaterfilm in verschiedenen Berliner Cineplex-Kinos präsentiert wurde, ein GWSW-Podcast mit über 20 Folgen sowie jährliche Sommeraufführungen im Strandbad Plötzensee unter freiem Himmel. Im Jahr 2021 ermöglichte die staatliche Förderung „Neustart Kultur“ dem Prime Time Theater eine Lüftungssanierung, sodass der heimische Spielbetrieb im November 2021 wieder aufgenommen werden konnte.
Die aktuelle Herausforderung für das Ensemble ist laut Tautorat, das Publikum wieder auf die Zahl zu bringen, wie es vor der Pandemie war.
ALEX: Wie habt ihr es geschafft, 20 Jahre am Ball zu bleiben und euren Kultstatus zu behalten?
PHL: Ich meine, dieser Kultstatus entsteht ja auch aus den Stücken, die wir machen und aus den Geschichten, die wir erzählen. Ich glaube, das Geheimnis war und ist auch nach wie vor, dass wir einfach sehr nah dran sind, an dem, was um uns herum passiert und wo wir wohnen. Aber man bringt natürlich immer viel mit aus seinem eigenen Leben, aus seinem Kiez, aus den Geschichten, die in Berlin passieren. Es war immer sehr nah dran am Puls der Stadt und was abgeht in Berlin. Es ist ganz oft passiert, dass wirklich Sachen, die wir geschrieben haben, zur Realität wurden.
OT: Wir haben ja immer wieder junge Schauspieler mit dabei. Das Ensemble verändert sich auch über die Jahre immer wieder. Und die jungen Schauspieler bringen wiederum die junge Generation mit rein. Das wiederum inspiriert die Autoren, Rollen zu schreiben, die ein jüngeres Publikum erreichen. Die Serie an sich bietet immer die Möglichkeit, sich weiterzuentwickeln und am Ball zu bleiben. Wir müssen am Ball bleiben, sonst funktionieren die Geschichten nicht.
ALEX: Wie geht‘s denn weiter? Kommen da noch Überraschungen?
OT: Ich habe so ein paar Träume, die ich noch verwirklichen will. Ich würde zum Beispiel gerne mal die Simpsons auf die Bühne bringen. Da habe ich aber mit Matt Groening geschrieben und es kam nichts zurück. Ich hatte schon mal die Rechte angefragt für ein Bühnenstück. Es wäre witzig, weil ich bin ein klassischer Homer Simpson. (…)
Ich will irgendwann mal im Sommer ein Festival des Europäischen Volkstheaters machen. Das heißt, ich möchte über einen Sommer lang Inszenierungen hier haben, aus Portugal, aus Spanien, aus Frankreich, aus Italien, aus Griechenland, und die am Schluss - das ist eine große Utopie von mir - gemeinsam ein Stück entwickeln, jede Szene in einer anderen Sprache, mit Untertiteln, um zu erzählen, dass Humor universal ist.
PHD: Und ganz kurzfristig gedacht zeigen wir jetzt den ersten Teil unseres Jubiläums von „In einem Wedding vor unserer Zeit“. Was ein Rückblick ist und eine kleine Werkschau. Was haben wir gemacht über die Jahre? Wir schauen dabei auf das Jahr der Gründung und die Geburt von GWSW. Und im zweiten Teil dann, der kommt im April, werfen wir den Blick in die Zukunft. Wie geht es weiter mit den verschiedenen Charakteren? Ich werfe mal rein (macht eine große Geste mit den Händen): Thema „Rock Opera“ kommt auf euch zu.
ALEX: In 20 Jahren entwickelt man sich als Ensemble sicher unglaublich weiter. Wenn ihr von der Gründung im Jahr 2003 auf heute blickt, was hat sich grundsätzlich verändert?
OT: Wir haben damals zu zweit angefangen und alles selbst gemacht. Die Kasse, die Bar und wir haben auf der Bühne gespielt. Dann haben wir stückweise ab 2006 Schauspielende bei uns angestellt und auch andere Mitarbeitende, die für Technik, Kostüm, etc. zuständig waren.
Grundsätzlich war es schon immer wahnsinnig schwierig gute Komödianten und Komödiantinnen zu finden. Heute ist es zudem so, dass wir stärker mit anderen Theatern konkurrieren, auch was die Gagen angeht. Aber das ist völlig in Ordnung, das ist eben die Entwicklung. Ich bin mit meinem Ensemble sehr zufrieden. Wir haben top Komödianten und Komödiantinnen.
In den letzten drei bis vier Monaten hat das Ensemble der Theatersitcom viel Zeit darauf verwendet, Recherchen anzustellen und Material von über 135 Folgen der letzten zwei Jahrzehnte zu sichten. Die Zuschauenden dürfen sich in den Jubiläumsfolgen auf einen Rückblick und ein Best-Of von GWSW freuen. Postbote Kalle wird die Besucher auf dieser Reise begleiten, zusammen mit den bereits im GWSW-Universum bekannten Figuren der Prenzlwichsern, der Familie Uckermark und den schrägen Friedrichshainis.
Die Premiere von „In einem Wedding vor unserer Zeit“ fand am 19. Januar statt, das Stück läuft noch bis zum 09. März im Prime Time Theater in der Müllerstraße. Am 12. April geht es dann weiter mit Teil zwei. Weitere Infos finde ihr hier. "Det is' klaa: jefeiert wird noch 'ne Ecke hin, det zieht sich."
Im ALEX Kosmos gibt's auch ein Reel zur Premiere von "In einem Wedding vor unserer Zeit".
Text & Interview: Cora Schäfer
Redaktion: Lisa Slaby
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