Hip-Hop-Feminismus: Zwischen Beats, Body Politics und Empowerment

In den vergangenen Jahrzehnten hat sich eine feministische Hip-Hop-Bewegung formiert, welche die Strukturen des Genres herausfordert. ALEX-Autorin Sophie Ehmke hat genauer hingeschaut, was sich zwischen Beats und Empowerment verbirgt.

Hip-Hop ist längst mehr als ein Musikgenre – es ist eine globale Kultur, die seit den 1970er Jahren Millionen Menschen begeistert. Ursprünglich als Ventil für Diskriminierungserfahrungen in den New Yorker Ghettos entstanden, hat sich Hip-Hop zur meistgehörten Musikrichtung der Welt entwickelt. Doch mit der Erfolgsgeschichte wächst auch die Kritik: Sexismus, Homophobie und Gewaltbeschreibung prägen viele Raptexte und Inszenierungen.

Gleichzeitig hat sich in den vergangenen Jahrzehnten eine feministische Hip-Hop-Bewegung formiert, die genau diese Strukturen herausfordert. Hip-Hop-Feminismus – ein theoretischer und praktischer Ansatz, der das Genre kritisch reflektiert und für mehr Sichtbarkeit von FLINTA*s eintritt.

Vom Bronx-Block zur globalen Stimme

Der Ursprung des Hip-Hop liegt in den New Yorker Stadtteilen der 1970er Jahren, allen voran in der Bronx. Armut, strukturelle Vernachlässigung und rassistische Ausgrenzung zeichneten die Lebensrealitäten. DJ Kool Hercs Blockparty 1973 gilt als Geburtsstunde der Kultur. Hip-Hop war vor allem männlich dominiert. Frauen spielten zwar früh essentielle Rollen, blieben aber meist im Hintergrund. So war es z.B. Cindy Campbell, Hercs Schwester, die die legendäre Blockparty organisierte. Sylvia Robinson gründete 1979 mit Sugarhill Records das erste erfolgreiche Hip-Hop-Label. Doch auf der Bühne dominierten Männer. Erst ab den 1980er Jahren traten Künstlerinnen wie MC Lyte, Salt-N-Pepa und Queen Latifah ins Rampenlicht.

Zwischen „Bitch“ und Befreiung

Die feministische Journalistin Joan Morgan erkennt schnell die Widersprüche der Entwicklung des weiblichen Hip-Hops. Sie prägte erstmals den Begriff Hip-Hop-Feminism – ein Konzept, das sich weigert, den Hip-Hop trotz seiner patriarchalen Muster aufzugeben. Für Morgan bedeutet Feminismus auch, die Ambivalenzen auszuhalten: Hip-Hop kann sexistisch und empowernd zugleich sein. Zentral ist für sie der Aspekt der Selbstermächtigung. Der Begriff „Bitch“ steht dafür exemplarisch: Ursprünglich als Beleidigung fungierend, wurde er von Künstlerinnen wie Lil´Kim und Nicki Minaj als Eigenbezeichnung positiv konnotiert und umgekehrt angeeignet.

Doch es entsteht ein Spannungsfeld:. Queen Latifah beispielsweise lehnt die Neudeutung des Begriffs ab – er könne seinen Ursprung als Herabwürdigung nicht verlieren. Auch die Kulturkritikerin Aisha Durham sieht in der Aneignung solcher Begriffe die Gefahr, patriarchale Muster zu stark zu reproduzieren. Doch andere Stimmen, wie Joan Morgan oder die deutsche Rapperin Lady Bitch Ray, plädieren für eine sexpositive Aneignung.

In der Diskussion geht es oft nicht nur um einzelne Begrifflichkeiten, sondern um die ganze Sprache. Lady Bitch Ray gilt als eine der ersten, die im deutschsprachigen Hip-Hop offen über Sexualität, Vorlieben und Sexismus rappte – provokant vulgär und bewusst gegen den männlich dominierten „Pornorap“. Für sie ist Sexualität eine Waffe, ein Mittel, um Macht zurückzuerobern. Wie auch zuletzt bei Ikkimel fragen Kritiker:innen: Ist die freizügige Selbstinszenierung und Reproduktion von gesellschaftlichen Schönheitsidealen noch feministisch?

Trotz patriarchaler Muster gibt es immer mehr Frauen in der Hip-Hop Szene

Körper, Rollenbilder und Empowerment

Seit den 1990er Jahren eroberten auch in Deutschland Frauen die Rap-Szene. Sabrina Setlur setzte mit ihren Texten emanzipatorische Akzente ohne Fokus auf weibliche Sexualisierung. Andere Rapperinnen wie Kitty Kat arbeiteten jedoch mit klar sexualisierten Bildern – etwa im Song „Strip für mich“ mit Sido. Die Musikwissenschaftlerin Reyhan Şahin unterscheiden hier zwischen feministischer Selbstbestimmung und einer "Komplizinnenrolle", in der Künstlerinnen patriarchale Strukturen stützen, statt sie zu brechen.

Doch auch innerhalb feministischer Ansätze bleibt vieles umstritten: Darf Feminismus stereotype Weiblichkeit und Schönheit zelebrieren, ohne in alte Rollenbilder zu verfallen? Die Kulturkritikerin Aisha Durham betont den Wert der Repräsentation – auch wenn Klischees bedient werden, kann die Sichtbarkeit der FLINTA* Künstlerinnen für sich und ihre Communities empowernd sein. Joan Morgan geht noch weiter: Sie fordert das Recht, Widersprüche zu leben. Ihr Satz "My feminism simply refuses to give sexism or racism that much power" ist zu einem Leitspruch des Hip-Hop-Feminismus geworden. Die Diskussion geht hier bis aufs Grundsätzliche: Was ich eigentlich Feminismus?

Widersprüche und Feminismus auf Deutschrap-Beats

Hip-Hop-Feminismus bewegt sich zwischen Ablehnung und Aneignung, zwischen Selbstermächtigung und Komplizenschaft, zwischen Körperinszenierung und Entsexualisierung. Was Feminismus und FLINTA*-sein bedeutet, legen Hip-Hop Künstlerinnen unterschiedlich aus.

Wa22ermann steht für einen Rap, der Stärke und Unabhängigkeit betont, ohne auf sexualisierte Bilder zurückzugreifen. In Songs wie "Dickes Fell" oder "Kitty Kat Flow" spricht sie von Solidarität unter Frauen und wehrt sich gegen Sexismus im Alltag. Ihre feministische Haltung besteht darin, Empowerment durch Gemeinschaft und Durchsetzungsfähigkeit sichtbar zu machen.

Babyjoy wählt einen anderen Weg: Ihre Musik lebt von sanften Beats und persönlichen Texten, die Gefühle, Beziehungen und auch Ausgrenzungs-Erfahrungen verhandeln. In ihren Videos integriert sie bewusst verschiedene Körperbilder und positioniert sich so gegen Schönheitsnormen. Ihr Feminismus ist nicht laut und sprachlich provokativ – aber dennoch sichtbar und stark.

Provokant, explizit und ungeschönt – so charakterisiert sich futurebaes Feminismus

Futurebae verkörpert eine radikale, ironisch-ernste Brechung sexistischer Codes. In "Schlaf dich hoch" dreht sie die sexistische Logik des Karrieremachens über Sex um – und nimmt damit Männern die patriarchale Macht. In Songs wie "Männer lol" attackiert sie Catcalling, Mansplaining und Schönheitsdruck. Gleichzeitig spielt sie auf Social Media bewusst mit Klischees von Weiblichkeit, überzeichnet sie und verwandelt sie so in Kritik. Provokant, explizit und ungeschönt – so charakterisiert sich futurebaes Feminismus.

Mehr als ein Randthema

Nachdem sich Medien und Musikforschung lange kaum bis gar nicht mit feministischen Perspektiven auseinandersetzten, sind die Diskurse mittlerweile lauter geworden. Doch neben viel Kritik, Unverständnis und höheren gesellschaftlichen Ansprüchen an FLINTA*s als an Männer im Hip-Hop, bewegen die Diskussionen dennoch viel: Die Auseinandersetzung mit dem Patriarchat und strukturellen Ungleichheit der Geschlechter.

Ihr wollt mehr? Hier gibts den Live-Auftritt von futurebae zu 40 Jahren ALEX Offener Kanal Berlin zum nachschauen.

 

Text: Sophie Ehmke

Titelbild & Bild futurebae: @thelottieway für ALEX Berlin

Bild Graffiti: pexels - Felicity Tai

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