Ein Festival der Gastfreundschaft - Das Kunstfestival Moabit Ortstermin 23

Das Kunstfestival Moabit Ortstermin 23 präsentiert unter dem Thema GAST/SPIELE in diesem Jahr wieder ein umfangreiches Programm, welches die künstlerische und kulturelle Vielfalt Moabits widerspiegelt und fördert. Besuchende erwarten vom 01. bis zum 03. September neben der unübersehbaren Gastfreundschaft, zahlreiche Kunst- und Kulturprojekte in Moabit.

Zu Gast-Sein oder Gastgeben sind zentrale Situationen unseres Alltags. Nach der ursprünglichen Bedeutung heißt Gastgeben jemandem Unterkunft und Kost zu bieten. Heute wird der Begriff weiter ausgelegt, Gastgeben kann viele Facetten annehmen, Gastkultur wird auf der Welt auch unterschiedlich ausgeübt. Welche unausgesprochenen Verhaltensregeln spielen beim Gastgeben und zu Gast-Sein eine Rolle? Und welche Spannungen können zwischen beiden Rollen entstehen? Mit diesen Fragen beschäftigt sich das diesjährige Kunstfestival Moabit.

Der Ortstermin 23

Dem Thema GAST/SPIELE widmet sich das diesjährige Kunstfestival Ortstermin 23 in Moabit. In diesem Jahr findet der Ortstermin an 92 Orten in Moabit und im Hansaviertel statt. Verschiedene Locations wie Cafés, Galerien, Ausstellungshäuser, Projekträume, Bars/Kneipen, Ateliers, sogar Privatwohnungen laden Berliner:innen ein Gast zu sein und die künstlerische und kulturelle Vielfalt Moabits zu erleben.

Der Kunstverein Tiergarten mit Sitz in der Galerie Nord präsentiert ein vielfältiges Programm an kuratierten Kunstausstellungen, Workshops, Rundgängen durch Moabit und weiteren Veranstaltungen im öffentlichen Raum. Ganz Moabit wirkt bei diesem Festival mit und alle sind zum Mitwirken aufgerufen. Dadurch erhält der Ortstermin einen regelrechten Netzwerkcharakter und ist öffentliches Festival und Nachbarschaftstreff zugleich. Kulturschaffende kommen dabei mit weiteren Künstler:innen und Lokal- oder Ladenbesitzer:innen in Kontakt - Räume für künstlerische Bereicherung werden zur Verfügung gestellt.

Aus der Ausstellung "Practises of Attention" beim Ortstermin 22 unter dem Thema "Lieber laut" ©Ralph Bergel

Moabit als Gastgeber

Die diesjährige Festivalleitung übernimmt das studentische Trio aus Nikolas Geier, Anna Latzko und Monique Machicao y Priemer Ferrufino. Alle drei sind Absolvent:innen der Kunst- und Bildgeschichte, waren in den letzten Jahren bereits häufiger in der Berliner Kunst- und Kulturszene aktiv und befinden sich nun im Masterstudium. Auf den thematischen Schwerpunkt sind sie gekommen, um die ursprünglichen Strukturen des Ortstermins nochmal zu ergänzen:

„Wir wollten schauen, wie wir den Besucher:innen in diesem Jahr begegnen können. Die ganze Situation, sein Studio zu öffnen, eine Ausstellung einzurichten und Leute zu empfangen, das passiert (beim Ortstermin) automatisch. Aber wir wollten das nochmal überdenken und uns bewusst machen, wie wir besonders offen sein können für Leute, die zu uns kommen.“ - Monique Machicao y Priemer Ferrufino

Über das Projekt „Ecke“ wurden in diesem Jahr verschiedene Gewerbe zur Teilnahme aufgerufen, die mit dem Gastgeben verknüpft sind, wie Kneipen, Cafés und Bars. Sie agieren bei dem Kunstfestival Moabit als Knotenpunkte und Begegnungsorte von Kunst und Alltag.

Aus dem Atelier Cornelia Stretz beim Ortstermin 21 ©Michael Zeeh

Ein wichtiger Teil des Ortstermins ist das Öffnen von Ateliers verschiedener Künstler:innen und der dadurch gewährte intime Einblick in ihr künstlerisches Schaffen und dadurch auch teils das Zusammenkommen von Arbeitsplatz und Privatwohnraum. Beim Ortstermin sind auch größere Moabiter Kulturinstitutionen mit Ausstellungen beim Festival vertreten, wie die Akademie der Künste, das Haus Kunst Mitte, das ZK/U, die Reformationskirche und das Stadtschloss Moabit.

got-miau-miau-avatar-mutter (2023) – ein partizipatives Projekt

Einblick in das Kunst am Bau - Projekt "got-miau-miau-avatar-mutter (2023)" ©Jelena Fuzinato

Auch das Zille-Haus, eine kommunale Kinder- und Jugendfreizeiteinrichtung, wird Teil des Ortstermins 23 sein. Im Rahmen einer kompletten Innensanierung des Zille-Hauses, wurde im Jahr 2021 ein Kunst am Bau-Wettbewerb ausgeführt, bei dem der interaktive Projektentwurf der Künstlerin Jelena Fuzinato zur Umsetzung bestimmt wurde. In ihrer ortspezifischen Arbeit got-miau-miau-avatar-mutter (2023) übertrug Fuzinato über 250 Zeichnungen mit einer Graviermaschine auf verschiedene Flächen des Zille-Hauses. Die Zeichnungen entstanden über die letzten zwei Jahre in ihrem wöchentlichen Zeichenkurs im Rahmen des ZilleKlubs von ihren Workshopteilnehmenden.

„Das ist so ein Kunstprojekt, das ein bisschen versteckt ist und nicht sehr präsent im Raum steht. Man muss sich schon bemühen es zu sehen und es ist besser die Zeichnungen mit den Fingern zu suchen als mit den Augen.“ – Jelena Fuzinato

Die Künstlerin Jelena Fuzinato beim Gravieren der Arbeit "got-miau-miau-avatar-mutter (2023)" ©Jelena Fuzinato & Ilaria Biotti

Jelena Fuzinato machte in ihren Kursen kaum Vorgaben und ließ den generationsübergreifenden Teilnehmenden alle Freiheiten was das Motiv, die Thematik, die Materialien und den Zeitraum des Zeichnens anging. Auf Nachfrage gab Fuzinato auch mal technische Hilfestellung. Dabei sind von kleinen Kindern bis großen Erwachsenen, von unerfahrenen bis erfahrenen Zeichner:innen unterschiedlichste Zeichnungen entstanden, Die Künstlerin konnte sehr viel für sich aus ihren Kursen mitnehmen:

„Ich wollte den Leuten jetzt nicht zeigen, wie man zeichnet, da ich sehr akademisiert bin. Ich zeichne viel und sehr und gerne, aber ich habe zweimal ein Masterstudium abgeschlossen und einmal eine klassische Ausbildung als Malerin. Zeichnen war dabei sehr wichtig, aber ich glaube mein Arm und mein Kopf sind zu akademisch, so dass ich fast keine gute Zeichnerin mehr bin, ich habe nicht mehr diese Freiheit. Das hat mir sehr viel Spaß gemacht Kindern beim Zeichnen zuzusehen, wie sie einfach zeichnen, egal wie lang oder kurz. Die haben diese Freiheit nämlich noch.“ – Jelena Fuzinato

Ein Besucher im Zille-Haus beim Abpausen einer Zeichnungs-Gravur ©Jelena Fuzinato & Ilaria Biotti

Die Künstlerin hat das Verhältnis von Kunst am Bau neu interpretiert, indem sie sich inhaltlich auf das Gebäude, seine Funktion und seine Nutzenden bezieht, anstatt sich nur formal auf die Architektur zu konzentrieren. Das Zille-Haus ist eine wichtige Einrichtung für Familien, Kinder und Jugendliche in Berlin-Moabit, welches eine Vielzahl von Unterstützungs- und Freizeitangeboten bietet.

Die eingravierten Zeichnungen des Kunstprojekts got-miau-miau-avatar-mutter (2023) sind in den Innenräumen des Zille-Hauses angebracht, an Wände, Säulen und im Boden. Sie sind nicht nur zum Anschauen gedacht, sondern auch zum Abpausen! Mit Stift und Papier sind Besuchende dazu eingeladen Frottagen der Zeichnungen zu erstellen und die Kopien mit nach Hause zu nehmen.

Die Spannung vom Gastgeben und zu Gast sein im guest.room

Momentaufnahme aus der Ausstellung "guest.room" ©Fredde Nolte & Raphia Lina Zouaoui

In einer weiteren Kunst- und Kulturausstellung wird das Thema des Ortstermins 23 intensiv aufgegriffen. Sie beschäftigt sich mit der Frage, was es bedeutet, Gast oder Gastgeber zu sein, insbesondere in Moabit. Die Ausstellung guest.room der Künstler:innen Julian Larger, Fredde Nolte und Raphia Lina Zouaoui wird im CI Space stattfinden. Dieser Ort in Moabit dient sowohl als Coworking-Fläche als auch als Weinbar. Die Ausstellung guest.room wird in beiden Räumen des CI Space präsentiert und in zwei Fotostrecken unterteilt sein.

In der einen Fotostrecke wird die Moabiter Gastkultur in ihrer Diversität portraitiert. Dabei vertieften sich Fredde Nolte und Raphia Lina Zouaoui in Gespräche mit verschiedenen Inhaber:innen von u.a. Tabakläden, Bäckereien, Cafés, Kneipen und Restaurants in Moabit. Diese Menschen nehmen in ihrem täglichen Geschäft die Rolle des Gastgebers und der Gastgeberin ein. In den entstandenen Momentaufnahmen wird die Bandbreite des Gastgebens deutlich, ebenso wie die Herausforderungen, mit denen die Lokalbesitzer aufgrund der langen pandemiebedingten Schließungen und der wirtschaftlichen Auswirkungen der Inflation konfrontiert sind.

Zu den Fotografien werden verschriftlichte Interviews und Texte ausgestellt, QR-Codes führen zu den jeweilig portraitierten Orten. Das Projekt schafft somit Sichtbarkeit für unscheinbare Orte und Geschichten des Gastgebens.

Wie kann Gastkultur zu einer Einsamkeit beitragen? Welche Rolle beim Gastgeben spielen Diskriminierung, Objektifizierung oder auch Gier? In dem größeren Raum des CI Space wird in der Ausstellung guest.room die zweite Fotostrecke präsentiert mit einer zugehörigen Installation von Julian Larger. Larger visualisiert auf seinen Fotografien unterschiedliche Szenarien, die sich vorrangig auf die tief liegenden Schattenseiten des Gastgebens und Gastseins beziehen. Dabei deckt der Künstler Klischees auf und untersucht die Rolle des Gastes im gesellschaftlichen Kontext.

Die bittersüße Seite des Gastgebens - aus der Ausstellung "guest.room" ©Julian Larger

Die zugehörige Installation zeigt eine gastronomische Darstellung und greift die Thematiken der Fotostrecke auf. Dabei legt Larger den Schwerpunkt auf gesellschaftliche Auswirkungen der Inflation und die dadurch resultierende Veränderung in der Gastkultur:

„Dies soll den Eingriff in das Leben der Menschen zeigen, wie sich ihr Lebensstil verändern musste und wie selbst einfache Dinge wie Essen nicht mehr erschwinglich sind. Die Kluft zwischen den Schichten vertieft sich weiter.“ – Julian Larger

Eindruck in die fotografische Ausstellung "guest.room" ©Julian Larger

Das Künstler:innen-Trio möchte ihrem guest.room einen inklusiven Charakter verleihen durch eine gemütliche und gastfreundliche Gestaltung der Ausstellungsfläche und der Öffnung der vorhanden Bar. Während Rezipierende die Möglichkeit haben das Motto „GAST/SPIELE“ multimedial und anthropologisch zu untersuchen, befinden sie sich selbst in der Rolle des Gastes oder der Gästin.

Das amoralische Wesen des Jack Hole in der Ausstellung UnFinished2023

Die amoralische Figur Jack Hole mit seinem Assistenten Daniel Hemel

Fragen der Moral werden beim Ortstermin ebenso nicht ausgelassen. In dem ehemaligen Gebetshaus und unabhängigen Kunstraum „Bomós Berlin“ (Bomos = gr. f. Altar) wird bei der Ausstellung UnFinished2023 eine rätselhafte Figur namens Jack Hole eingeführt. Jack ist ein geschlechtsneutraler Charakter und tritt als amoralische, hyperkapitalistische Figur hervor. Jack Hole ist bei der Ausstellung Protagonist und Künstler in einem. Daniel Hemel (selbst als bildender Künstler tätig) agiert für Jack Hole lediglich als Angestellter und Assistent, der Aufträge von Jack ausführt. Beide sind völlig unterschiedliche Persönlichkeiten:

Jack Hole ist eine wahnsinnig unmoralische Person, der gar nicht weiß, dass er unmoralisch handelt, weil er einfach nur beobachtet, was gerade passiert auf der Welt.“ – Daniel Hemel

Die Ausstellung UnFinished2023 lädt dazu ein Jack Hole kennenzulernen und ihn zu erleben durch die Malereien, Grafiken und Fotografien. Das skrupellose und facettenreiche Wesen spricht nach Hemel durch die Werke im ganzen Raum und stellt uns vor moralische Fragen, die wir für uns beantworten sollten:

„Ich denke, wenn Kunst funktioniert, sollte sie immer einen Teil unangenehm sein, wenn man dadurch etwas von sich erfährt, was man manchmal gar nicht erfahren möchte aber es trotzdem fühlt.“ – Daniel Hemel

Einblick in den nebulösen Charakter des Jack Hole ©Daniel Hemel

Die Räumlichkeiten stellt Adiam Schoch mit ihrem Partner zur Verfügung. Sie nutzen die Räumlichkeiten des ehemaligen Gebetshauses weiter und werden im Rahmen der Ausstellung warme und kalte Getränke für ihre Gäste stellen:

„Als Gastgeber sind wir nicht ganz so abhängig von Jack Hole. Ich glaube wir können da trotzdem für die Besucherinnen und Besucher eine angenehme Atmosphäre schaffen, während sie mit den großen Fragen der Moral des Lebens konfrontiert werden.“ – Adiam Schoch

Jack Hole ist dabei Gast und Gastgeber in einem. Wer Lust hat von der nebulösen Figur ein bisschen aufgerüttelt zu werden kann im Rahmen des Ortstermins beim „Bomós Berlin“ vorbeischauen, die Ausstellungseröffnung findet am 01. September um 19:30 Uhr statt, am 02. September wird es um 17 Uhr einen Artist Talk mit Daniel Hemel geben.

Ein vielfältiges Programm beim Kunstfestival Ortstermin 23

Das Kunstfestival Moabit Ortstermin 23 umfasst ein breites und vielfältiges Programm, an dem die kulturelle Vielfalt, die künstlerische Kreativität und die nachbarschaftliche Gastfreundschaft des Bezirks sichtbar wird. Ganz Berlin ist eingeladen sich am Wochenende vom 01. bis 03. September von 92 Orten inspirieren, berieseln und überraschen zu lassen und dabei die Facetten des Gastgebens und Gastseins zu untersuchen.

Zum Programmheft inklusive Map mit allen teilnehmenden Orten in Moabit und im Hansaviertel des Ortstermins 23 kommt ihr hier.

Text: Cora Schäfer; Redaktion: Lisa Tramm

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